Liebesflüchter - So überwindest du deine Bindungsangst

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Eines Tages stand er in meiner Praxis Herzkümmerei: Volker, Mitte 50, selbstständig, sportlich-attraktiv – und: Ein passionierter Liebesflüchter! Äußerlich sehr selbstbewusst, innerlich stark verunsichert. Mit über 50 Jahren bekam er nun langsam Zweifel, ob es in seinem Leben noch eine feste Lebenspartnerin geben würde, mit der er gemeinsam älter, vielleicht sogar alt werden könnte. Der Wunsch war groß, die Realität zermürbend. Der sich ständig wiederholende Reigen aus Daten, Kennlernen, Verlieben, eine Weile zusammen sein, sich dann wieder schnell trennen wurde nun langsam lästig.

 

Volker, der attraktive Frauenheld, der sich regelmäßig nach ca. 6 Monaten trennte, zeigte deutlich Ermüdungserscheinungen und fing an, an sich und seiner Beziehungsfähigkeit zu zweifeln. Die ständigen Neuanfänge hatten ihren Reiz im Laufe der Zeit verloren. Volker wollte sich nun endlich längst fälligen Fragen stellen und versuchen, die alten Muster durchbrechen.

 

„Warum „entliebe“ ich mich regelmäßig nach ein paar Monaten? Wie kann ich meine Bindungsangst überwinden? An diesen Fragestellungen wollte er mit mir arbeiten.                 

Der vermeidende Beziehungstyp – Liebe unter Vorbehalt

Gemeinsam haben wir uns Volkers Beziehungen angeschaut. Dabei sind einige Muster schnell deutlich geworden. Die Frauen, in die sich Volker verliebt, haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind äußerlich sehr attraktiv. Seiner Beschreibung nach haben sie mehr oder weniger alle Modelmaße, optisch betrachtet „Traumfrauen“. Wenn ihm eine Frau gefällt, ist er sehr schnell entflammt, die Wogen der Verliebtheit schlagen dann hoch. Volker brennt lichterloh. Aber genauso schnell sind die intensiven Gefühle wieder weg. Bereits nach wenigen Monaten interessieren ihn die Frauen immer weniger, schnell stören ihn irgendwelche kleine Äußerlichkeiten oder Verhaltensweisen; er fängt an, die Frauen abzuwerten und zu kritisieren.

 

Besonders stört es ihn, wenn die Partnerinnen nach ein paar Monaten des Zusammenseins Verbindlichkeiten einfordern und wissen wollen, ob und wie die Beziehung weiter geht. Spätestens dann tritt Volker den vorsichtigen Rückzug an. Er vermeidet Treffen, antwortet sehr verspätet auf Nachrichten, sagt Dates ab – kurz: Er geht auf Distanz. Volkers Partnerinnen reagieren natürlich entsprechend verunsichert. Sie können mit diesen emotionalen Ausschlägen nur sehr schwer umgehen und versuchen die anfängliche Nähe wieder herzustellen – allerdings vergebens. Je mehr die Frauen sich um Volker bemühen, desto mehr fühlt er sich vereinnahmt und manipuliert. Auf diese Weise hat Volker hat schon viele Herzen gebrochen.

 

Männer wie Volker bezeichnet man als vermeidende Beziehungstypen. Er ist tendenziell eher bindungsvermeidend, hat im Innersten sehr viel Angst vor festen Bindungen. Das ist Beziehungsvermeidern wie Volker aber in der Regel nicht bewusst. Interessanterweise können sie Freundschaften oder Arbeitsbeziehungen auch gut gestalten, nur bei den Liebesbeziehungen haperte es gewaltig. Wenn es um die Liebe geht, fühlen sich Menschen wie er sich bei sich selbst am sichersten. Emotionale Nähe bedeutet  für sie Abhängigkeit, und davor haben Menschen mit so einer inneren Disposition große Angst.

 

Die Folge: Sobald die Frauen anfangen, eine Beziehungsperspektive einzufordern, kommt es schnell zu einer Trennung. Kaum eine von Volkers Partnerinnen hat die „Probezeit“ von sechs Monaten geschafft.  

 

Partnerwahl als Selbstbestätigung

Die Frauen, in die Volker sich verliebt, sind wie oben schon gesagt, auffallende Schönheiten. Und je schwerer die Frauen zu kriegen sind, desto attraktiver sind sie im ersten Moment. Im Coaching wurde langsam deutlich, dass sich hinter dem sehr selbstbewusst wirkenden Mann ein recht angeschlagenes Selbstwertgefühl verbirgt. Volker hat es in seiner Jugend sehr schwer gehabt. Er wurde als Kind und Jugendlicher in der Schule schwer gemobbt, seine Leistungen ließen rapide nach. Er wurde zum Schulverweigerer, spurte aus. Es folgten Ab- und Umschulungen; auf dem zweiten Bildungsweg wurde er dann aber doch noch erfolgreich.

 

Schon früh hatte er als äußerst attraktiver Jugendlicher großen Erfolg bei Mädchen. Sie haben ihm die Bestätigung gegeben, die er von anderer Seite nicht bekommen konnte. Dieses Muster zieht sich bis heute durch. Frauen, das musste er sich leider im Laufe der Arbeit eingestehen, waren häufig Jagdtrophäen. Einmal „erlegt“, hatten sie ihren Reiz aber sehr schnell verloren.

 

 

Volker ist ein typischer Bindungsvermeider mit einem niedrigen Selbstwertgefühl. Sich das einzugestehen war ein sehr hartes Stück Arbeit für ihn. Äußerlichkeiten wie ein toller Job, schöne Frauen etc., sind alles äußerliche Attribute, sie führen lediglich zu einer besseren Selbstbewertung. In ihrem Inneren haben Menschen wie Volker aber eine tiefsitzende Angst nicht zu genügen. Sie sind sich ihrer selbst nicht wirklich bewusst und merken nicht, dass sie ein großes Selbstwertproblem haben. 

Bindungsangst: Sehnsucht nach Nähe, streben nach Distanz

Das Paradoxe bei diesen sehr autonom aufgestellten Beziehungstypen ist, dass sie sich eigentlich nichts sehnlicher wünschen, als in einer festen Partnerschaft zu leben. So höre ich in solchen Coachings immer wieder den Satz: „Ich würde ja gerne in einer Beziehung leben, ich wünsche es mir wirklich, aber…“    

Was versteckt sich hinter diesem „Aber“? Menschen, die Beziehungen vermeiden (es sind übrigens tatsächlich häufiger Männer als Frauen), suchen in Beziehungen sehr schnell nach Anzeichen, die auf Kontrolle des Partners hindeuten. Will die neue Partnerin zu viel zu schnell Nähe? Fordert sie sehr viel gemeinsame Zeit ein, äußert sie sehr früh den Wunsch nach Familie, einer gemeinsamen Wohnung? Wenn das der Fall ist, beginnt der vermeidende Beziehungstyp sehr schnell mit seinen Distanzierungsspielen. Zu diesen sogenannten Deaktivierungsstrategien zählen alle Verhaltensweisen, die Nähe ausschließen. Auf einmal spielt zum Beispiel Sex eine deutlich geringere Rolle, die Frequenz der Treffen wird geringer, die Begegnungen werden unverbindlicher…

 

Um beim Beispiel Volker zu bleiben: Er zog sich immer dann deutlich zurück, wenn die Dinge scheinbar besonders gut liefen. Nach einem sehr gelungenen Kurzurlaub musste er beispielsweise erst einmal wieder Abstand aufbauen und seine Autonomie wieder herstellen. Nähe erlebt Menschen wie Volker (unbewusst) als Bedrohung. 

Die Schatten der Vergangenheit  – unsere Kindheit prägt unsere Beziehungsmuster

Um seine Muster zu durchbrechen, lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit, genauer gesagt, in die Kindheit zu werfen. Volkers Mutter war viel alleine, der Vater beruflich sehr stark eingespannt, So wurde Volker – ein Wunschkind – von seiner Mutter mit Liebe überschüttet. Sie war ständig um ihn herum und hat ihn auf diese Weise sehr eng an sich gebunden – viel zu eng!  Der kleine Volker durfte die Mutter nicht alleine lassen, er hatte schon ein schlechtes Gewissen, wenn er draußen alleine mit seinen Freunden spielen wollte. Das Kind spürte, dass die Mutter einsam  war und übernahm unbewusst Verantwortung für sie. Bei Volker hat sich das Gefühl Liebe mit dem Gefühl des Angebundensein tief verbunden. Der kleine Junge empfand bei seinen zaghaften Distanzierungsversuchen Pflicht  und letztlich Schuld – schlechte Voraussetzungen für spätere „erwachsene“ Beziehungen.

 

In der Konsequenz hat Volker bis heute das Gefühl zu ersticken, wenn die Frauen aus seiner Sicht zu viel wollen. Er ergreift die Flucht. Innerlich ringt er in solchen Momenten um Freiheit und Autonomie. Das Klammern der Mutter hat ihn hilflos gemacht. Für  Menschen wie Volker fühlt sich Liebe wie ein Gefängnis an. Beziehung bedeutet Einschränkung, Verlust von Unabhängigkeit und letztendlich auch eine Schwächung des Selbst. Ganz klar, für Volker ist Beziehung alles andere als ein sicherer Ort. Partnerschaft ist Stress pur!      

Ängstlich trifft vermeidend – Das Drama beginnt

Volker hat sich häufig in Frauen verliebt, die eher ängstlich-unsichere Beziehungstypen sind. Diese Frauen brauchen sehr viel Nähe und Versicherung. Sie merken schon, jetzt wird es spannend. Warum verlieben sich diese Frauen ausgerechnet in Menschen wie Volker? Eigentlich ganz einfach: Sie suchen das was, sie selber nicht besitzen. In der Folge sind Sie von den Volkers dieser Welt sehr fasziniert. Diese hohe Autonomie und Unabhängigkeit wirkt anfangs sehr sexy. Erst nach einiger Zeit verstehen sie, dass ihr Partner Nähe gar nicht so toll findet wie sie.

Und nun beginnt das Beziehungsdrama: Er zieht sich zurück, sie reagiert verunsichert und sucht umso mehr Nähe. Das macht ihn noch unruhiger, er geht immer mehr auf Distanz. Ein unheilvolles Muster, das am Ende zu Frust auf beiden Seiten führt. Am Ende steht oft die Trennung.   

 

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Bindungsstile können sich ändern

Heißt das jetzt, dass Menschen, die einen vermeidenden Beziehungsstil haben, niemals in einer stabilen Partnerschaft leben können? Nein, die Forschung hat gezeigt, dass ein Drittel der Erwachsenen ihren Bindungsstil aufgrund von Bindungserfahrungen verändern können. Es kann also durchaus sein, dass ein ursprünglich vermeidender Typus aufgrund einer Partnererfahrung viel mehr Nähe zulassen kann und sicherer wird. Volker muss an seinen Vermeidungsstrategien und an seinem Selbstbewusstsein arbeiten. Beides lernt er gerade, sehr mühsam, aber es geht langsam voran.

 

Auch bei seiner jetzigen Partnerschaft mit Isabel war der Impuls zu flüchten nach ein paar Monaten wieder da. Wir sind uns aber im Gespräch einig geworden, dass diese Frau sehr passend sein könnte. Volker hat vorsichtig angefangen, sich Isabel gegenüber zu öffnen. Er hat verstanden, woher seine Ängste kommen und fängt langsam an, diese mit Isabel zu besprechen. So gibt er ihr die Möglichkeit, Verständnis für ihn aufzubringen, wenn er mal wieder anfängt, sich im wahrsten Sinne des Wortes „aus der Affäre“ zu ziehen. Isabel ist eine sehr stabile und selbstbewusste Frau. Sie geht mit seinen Distanzierungsversuchen sehr gelassen um. Ein wahrer Glücksfall!  Mit so einer Frau an seiner Seite hat Volker eine echte Chance zu lernen, dass er auch innerhalb einer Beziehung frei sein kann.

Das heißt also: Ein Bindungsstil ist auch eine Reaktion auf den jeweiligen Partner, bzw. die Partnerin. Mit Isabel hat Volker eine gelassene und großzügige Frau an seiner Seite, mit der er eine erfüllende Partnerschaft leben könnte.    

 

Was müsste Volker tun? Kurz gesagt, sein Beziehungsmuster verändern, indem er seine Angst vor Nähe langsam auflöst. Erst dann muss er nicht immer flüchten, sondern könnte sich einlassen. So könnte er endlich in einer stabilen Partnerschaft ankommen.  Mit der richtigen Frau an seiner Seite kann das gelingen.

 

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Die Herzkümmerei hören: Den Podcast zum Thema findest du hier

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