Der ängstliche Beziehungstyp - Verlustangst in der Dauerschleife

frau-aengstlich-verlustangst

Verlustangst kann eine Beziehung in eine ständige Achterbahn der Gefühle verwandeln. In meinen Coachings erlebe ich oft, wie die quälende Angst vor dem Verlassenwerden das gesamte Denken und Handeln dominieren kann. Ein Beispiel dafür ist meine Klientin Nina, deren Verlustängste ihre Beziehung zu Paul schließlich zerstörten.

Doch wie entstehen solche Ängste, und wie kann man diesen destruktiven Teufelskreis durchbrechen? In diesem Blog erfährst du mehr über den ängstlich-unsicheren Beziehungstyp, über die Ursachen dieses Bindungsstils und wie du das Gefühl der ständigen Verlustangst überwinden kannst. 

Wenn Verlustangst die Beziehung belastet – Nina Geschichte

Ich arbeite immer wieder mit Klienten, die große Angst davor haben, von ihrem Partner verlassen zu werden. Diese Sorge vor einer Trennung mag von außen betrachtet irrational erscheinen, doch für die Betroffenen ist sie leider quälend real. Verlustangst kann das gesamte Denken und Handeln dominieren und im Extremfall zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden: Die ständige Furcht vor dem Verlassenwerden führt oft genau dazu.

 

So erging es auch meiner Klientin Nina. Obwohl ihr Partner Paul ein liebevoller und unterstützender Mann war, wurde Nina von ständigen Verlustängsten geplagt. Wenn Paul nicht sofort auf ihre Nachrichten antwortete oder Zeit mit seinen Freunden verbringen wollte, fühlte Nina sich vernachlässigt und unsicher. Diese Unsicherheit wurde fast zu einer Obsession, sie nahm im Lauf der Zeit nahezu krankhafte Züge an: Vielleicht traf Paul sich mit einer anderen Frau? Um ihre Ängste zu beruhigen, begann Nina, Paul mit Nachrichten und Anrufen zu überhäufen, um seine Aufmerksamkeit zu erzwingen und sich seiner Nähe zu versichern.

 

Paul reagierte anfangs noch verständnisvoll, doch Ninas Verhalten überforderte ihn zunehmend. Er fühlte sich eingeengt und wünschte sich mehr Vertrauen von ihr. Da Paul einen hohen Anspruch an seine Autonomie hatte, begann er, sich immer mehr zu distanzieren. Diese Dynamik führte zu Spannungen in der Beziehung und zu immer häufigeren Streitereien. Schließlich trennte sich Paul von Nina, die verzweifelt und ratlos zurückblieb.

Frühkindliche Bindungserfahrung – die Grundlage unserer Beziehungen

Evolutionär betrachtet macht Verlustangst erst einmal Sinn. Menschen können ohne Bindung nicht überleben; Babys und Kleinkinder sind auf die Zuwendung und Liebe ihrer Eltern existentiell angewiesen, um zu überleben. Der englische Forscher John Bowlby gilt als Pionier in der Bindungsforschung. Seine Theorie besagt, dass die Art und Weise, wie Eltern oder wichtige Bezugspersonen sich um ihren Nachwuchs kümmern, entscheidend dafür ist, was für Bindungsstile wir entwickeln. Diese emotionale Bindung, die zwischen einem Kind und seinen primären Bezugspersonen entsteht, prägt das Bindungsverhalten, das wir interessanterweise auch sehr viel später auf unsere erwachsenen partnerschaftlichen Beziehungen übertragen. Unser Bindungssystem beeinflusst also, wie wir uns zu anderen Menschen verhalten und wie wir auf Nähe und Distanz reagieren. Eine spezifische Form der Bindung, die als ängstlicher Beziehungstyp bekannt ist, kann zu großen Herausforderungen in Partnerschaften führen. 

Warum bin ich so? Die Ursachen des ängstlichen Beziehungstyps

Nina ist eine typische Vertreterin des ängstlich-unsicheren Beziehungstyps und das hat Gründe, wie wir im Verlauf des Coachings herausgearbeitet haben. Im Rahmen einer Genogrammarbeit haben wir uns die Beziehungen und emotionalen Strukturen in Ninas Familie intensiv angeschaut und sind schnell fündig geworden. Ninas Mutter war psychisch krank; sie litt unter einer Bipolaren Störung und  lebte in einem ständigen Wechsel aus depressiven Phasen und Phasen euphorischer oder ungewöhnlich gereizter Stimmung. Kurz gesagt: Sie war emotional komplett instabil. Diese emotionale Unvorhersehbarkeit führte dazu, dass sie ihre kleine Tochter entweder sehr liebevoll behandelte oder aber zurückwies. Die kleine Nina war also ständig in innerer Alarmbereitschaft. Nie fühlte sie sich bei ihrer Mutter emotional wirklich sicher. Das Gefühl von bedingungsloser Liebe und Geborgenheit hat Nina als Kind nicht erfahren. „Hat mich die Mama wirklich lieb“? Diese Frage hat das kleine Mädchen unbewusst immerzu beschäftigt. Nie konnte sie sicher sein, wirklich zu genügen. Nina wurde durch einen so genannten unsicheren Bindungsstil geprägt. Kinder, die diese Art von Bindung erleben, entwickeln oft eine übermäßige Angst vor Zurückweisung und Verlassenwerden. Unsichere Bindung ist ein sehr guter Nährboden für Verlustangst. 

Hohe Alarmbereitschaft - Wenn das Bindungssystem überreagiert

Bei Menschen, die einen unsicher-ängstlichen Bindungstil haben, wird das Bindungssystem sehr schnell aktiviert. Es reagiert  hyperempfindlich und springt sofort an, wenn sie sich unsicher oder bedroht fühlen. Und nun wird es leider destruktiv: Denn ist das Bindungssystem erst einmal aktiviert, dann kreisen ab sofort alle Gedanken nur noch um den Partner. So auch bei Nina. Als ängstlicher Beziehungstyp hat sie sehr feine Antennen. Das ist im ersten Moment  gar nicht so verkehrt, aber es hat bei Nina zu einer kognitiven Verzerrung geführt. Jeder Distanzierungsversuch von ihrem Partner Paul versetzte Nina sofort in Alarmbereitschaft. „Paul liebt mich nicht mehr“ – dieses alles beherrschende Angstgefühl war ihr emotionaler Begleiter. Sobald Paul sich zurückzog, wurde bei Nina der innere Katastrophenzustand ausgerufen. Sie war fest davon überzeugt, dass nun das Schlimmste, also eine Trennung, passieren würde. Die einzige Frage, die sie in diesem Moment der Panik dann umtrieb, lautete: Wie kann ich die Nähe zu Paul möglichst schnell wieder herstellen? Ihr Bindungssystem wurde erst dann beruhigt, wenn Paul bei ihr war und seine Zuneigung beteuert hat. 

Nähe um jeden Preis – Der fatale Kampf um Aufmerksamkeit

Nina wurde im Laufe des Coachings klar, dass sie mit ihrem Verhalten eine Menge dazu beigetragen hat, Paul von sich wegzutreiben. Je genervter Paul von der immer stärker klammernden Nina war, desto nachdrücklicher wurde Nina. Sie hat ein Protestverhalten entwickelt, für das sie sich im nach hinein sehr geschämt hat. Wenn sie Paul nicht erreichen konnte, hat sie ständig versucht ihn zu erreichen. Ihr Handy war im Dauereinsatz. Sie hat mit Whatsapp-Nachtrichten, SMSen und E-Mails versucht, die Nähe um jeden Preis wieder herzustellen.

 

Und Paul? Er hat Ninas Verhalten verständlicherweise als ständige Kontrolle erlebt und zunehmend genervt reagiert. Er hat sie immer nachdrücklicher aufgefordert, diese Aktionen zu unterlassen; doch Nina hat nur noch panischer reagiert. Nun hat sie endgültig alle Register gezogen: Als nächstes hat sie es mit Rückzug probiert. Nina hat Paul die kalte Schulter gezeigt und gehofft, dass sie so wieder seine Aufmerksamkeit bekommt. Am Ende hat sie sogar versucht, ihm mit ihrem Ex-Partner eifersüchtig zu machen. Arme Nina: All ihre verzweifelten Versuche, Nähe herzustellen, haben nur dazu geführt, Paul von ihr wegzutreiben. Ihr ständig stärker werdendes Protestverhalten haben dann schlussendlich zum traurigen Finale geführt. Paul ist endgültig gegangen. Und Nina: Ihre frühkindliche Erfahrung „Ich bin es nicht wert geliebt zu werden“ hat sich aufs Neue erfüllt. Sie hat ihr kindliches Drama ein weiteres Mal reinszeniert – (Beziehungs)Scheitern in der Dauerschleife.      

Raus aus dem Teufelskreis – Wege zu einer glücklichen Beziehung

Nina war sich natürlich zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, was bei ihr passierte. Mit dem Thema Bindungsforschung hatte sie sich nie auseinandergesetzt. Sie wusste nicht, dass sie ein ängstlicher Beziehungstyp ist und immer wieder das gleiche Muster gelebt hat. Ihr Bindungsmuster zu erkennen und zu verstehen, war für Nina ein großes Aha-Erlebnis und der erste Schritt in die richtige Richtung.

 

Doch was kann sie darüber hinaus noch tun? Übungen zur Selbstreflektion und Achtsamkeit können helfen, negative Gedankenmuster zu erkennen und Reaktionen zu verändern. Nina hat sich entschieden ein Tagebuch zu führen, um sich selber auf die Spur zu kommen und Verhaltensmuster zu hinterfragen. So kann sie lernen, ihre automatisch auftauchenden negativen Gedanken zu entlarven und Stück für Stück durch realistische positive Gedanken zu ersetzen.  

 

Erkenntnis ist der erste Schritt zur Veränderung. Nina kann mit dem Wissen, dass sie ein ängstlicher Beziehungstyp ist, anfangen, in kommenden Partnerschaften klarer zu kommunizieren. Und nein, Nina muss sich nicht dafür schämen, dass sie so ist wie sie ist. Aber sie kann lernen, ihre Bindungsgeschichte anzunehmen und sich zugestehen, dass sie mehr emotionale Sicherheit in einer Partnerschaft braucht als andere Menschen. Gleichzeitig muss sie aber auch lernen, die Grenzen ihres Partners zu respektieren. Nur so wird es ein gutes Gleichgewicht zwischen Nähe und Autonomie geben können, das für einen gelingende Partnerschaft unerlässlich ist.

Hoffnung auf Veränderung - Bindungsmuster können neu geschrieben werden

Doch was heißt das genau? Können Menschen wie Nina, die einen ängstlichen Beziehungsstil haben, niemals in einer stabilen Partnerschaft leben? Doch, die Forschung hat gezeigt, dass ein Drittel der Erwachsenen ihren Bindungsstil aufgrund von positiven Bindungserfahrungen verändern können. Neben der ursprünglichen Bindungserfahrung des Kleinkindes spielen die aktuellen Beziehungen eine große Rolle. Außerdem gibt es natürlich im Laufe des Erwachsenwerdens eine fortschreitende intellektuelle Entwicklung. Wir haben also durchaus die Fähigkeit, unsere eigenen Beziehungserfahrungen zu überdenken, neu zu bewerten und anzupassen. Ein Bindungsstil ist also nicht in Stein gemeißelt, sondern auch eine Reaktion auf den jeweiligen Partner.

 

Im Fall von Nina bedeutet es, dass sie im Idealfall einen Partner findet, mit dem sie offen über ihre Kindheitsgeschichte und den daraus resultierenden Angstgefühlen sprechen kann. Ein verständnisvoller Partner kann ihr mit dem Wissen um ihre Geschichte im besten Fall ein Gefühl von emotionaler Sicherheit geben, dass Nina so dringend benötigt.  Auf der Grundlage dieser neuen positiven Beziehungserfahrung kann sie lernen, sich, bzw. ihr Bindungssystem Stück für Stück zu beruhigen – und das wird am Ende dafür sorgen, dass Nina sich in ihrer Partnerschaft endlich entspannen kann.    

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Kontaktdaten

Herzkümmerei

Heike Klopsch

Olendörp 41
22335 Hamburg

 

Telefon  0162 1005100

E-Mail  Heike.Klopsch@herzkuemmerei.de

 

Termine nur nach Vereinbarung!

Kontaktformular

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.

Navi